«Finisterre» – Festival Neue Musik im Tessin: PROGRAMM
Finisterre ist ein Festival über viereinhalb Tage. Es nimmt das Publikum mit auf eine Pilgerreise durch Landschaften gescheiterter und gelungener Lebensentwürfe. Auf den Spuren der Wahrheitssuchenden vergangener Zeiten gelangt das Publikum vom Monte Verità über den Lago Maggiore hinein ins Onsernone-Tal bis zu den Bagni di Craveggia.
Für dieses ungewöhnliche musikalische Abenteuer mit Konzerten, Musiktheater und Klanginstallationen, hat sich das Festival Neue Musik Rümlingen (BL) mit der Associazione Olocene (Valle Onsernone, TI) und dem Teatro del Tempo (Vacallo, TI) zusammengetan.
Künstlerische Leitung: Lydia Jeschke und Daniel Ott (Neue Musik Rümlingen),
Johannes Rühl (Ass. Olocene), Mario Pagliarani (La Via Lattea).
28.7.23
Monte Verità, 18:00 Uhr
Feierliche Eröffnung von «Finisterre» auf dem Monte Verità
29.7.23
Monte Verità, 06:03 Uhr, Parzivalwiese/Balladrum
Treffpunkt um 05:30 Uhr am Kiosk bei der Parzivalwiese
4 Performer:innen, Spezialhüte, Papier
Zum Sonnenaufgang steigen auf dem keltischen Versammlungsfelsen grazile, flüchtige Figuren in die Luft. Dazu hat Lukas Berchtold papierentrollende Hüte gebaut, Performer:innen positionieren sie im Wind.
29.7.23
Monte Verità, 10:00–21:00 Uhr
Die Suche nach deiner tieferen Wahrheit und einem besseren Leben hat Künstler zu allen Zeit beschäftigt. Im Programm des Festivals Finisterre kombinieren Komponist:innen und die teilnehmenden Kollektive ihre Vorstellungswelten mit der Geschichte und den Geschichten der Orte, mit und an denen sie auftreten.
Papierstreifen, 4 Tänzer:innen
Isadora Duncan und insbesondere der Tänzer, Choreograph und Pädagoge Rudolf von Laban brachten Tanz und Bewegung zum Monte Verità. In Erinnerung an Laban steht ein Ikosaeder, ein spezielles Bewegungsgerüst, auf dem Gelände des Monte Verità, viele Fotos und Dokumente im dortigen Museum zeugen von der tanzreformerischen Arbeit.
Lukas Berchtold bringt den womöglich noch nicht ganz verwehten Geist dieser kollektiven Übungen zurück. Vom Wind beeinflusst, bilden sich nahe der historischen Tanzorte im Freien bewegliche Figuren aus Papierstreifen, die sich langsam entrollen. In Zusammenarbeit mit der ausgebildeten Laban-Tänzerin und -Lehrerin Nunzia Tirelli treten in verschiedenen Aufführungen ausgewählte Tänzerinnen und Tänzer aus unserer Zeit mit diesen flüchtigen Figuren in einen physischen Dialog. «Grazien» nennt Berchtold seine Arbeit, die auch ganz allgemein daran erinnert, dass Künstler:innen des Monte Verità wie Laban, immer wieder von Musen umgeben waren, die später selbst zu wegweisenden Tanzpionierinnen wurden.
Für Glocken in der Ferne und Solo-Instrumente.
8 Studierende des Conservatorio della Svizzera italiana
Im Gelände oberhalb des Schwimmbades, das der Community des Monte Verità einst als Trainingsort für regelmässige Luft- und Sonnenbäder und spezielle physische Ertüchtigungen diente, platziert Manos Tsangaris Gelegenheiten für physische Einzelübungen mittels einer gezielten Stimulanz der Ohren. Vor allem im Bereich der Baracke der «Klarwelt der Seligen» (Elisarioin Pavillon), in der Gegend der Duschen und des markierten Kraftortes als energetischem Mittelpunkt des Tessins wird es kleine Stationen mit «verstreuten» Liegestühlen geben.
Fasziniert vom Klang der Glocken, die, je nach Windverhältnissen auf den Monte Verità hinaufwehen, erklingen in «close Up – lontano» einfache Melodien, die eher beiläufig und «wie verloren» durch die Luft schweben.
Für Lautsprecher, eine Komponistin/Sängerin, eine Perkussionistin
Das niederländische Geschwisterpaar und Performance-Kollektiv Het Geluid beschäftigt sich mit der Entstehungsgeschichte des Monte Verità. Auseinandersetzungen mit den Gründer:innen der dortigen alternativen Lebensgemeinschaft und mit utopistischen Gemeinschaften überhaupt bilden die Basis ihrer Arbeit. Die Musikerin, Wagnerverehrerin und frühe Feministin Ida Hoffmann steht als weibliches Mitglied der Gründergeneration besonders im Fokus.
Lautsprecher in den hohen Bäumen rufen die Geschichte des Ortes ins Gedächtnis – die Performance schlägt dabei eine Brücke ins Jetzt: gibt es eine andere, eine feminstische Zukunft als Teil einer neuen Gesellschaftsreform?
Mit Studierenden des Conservatorio della Svizzera Italiana
Für drei Schlagzeuger:innen
Mit Studierenden des Conservatorio della Svizzera Italiana.
Einer der Teilnehmer:innen der Meisterkurse für Komposition in Loco (2022) bespielt vom höchsten Punkt des Monte Verità aus, den markanten, runden Wasserturm hinter dem Bauhaus-Hotel.
Nähere Angaben folgen.
Die Kartierung von Territorien war oft ein Akt der Eroberung und Kolonisierung von Räumen und der Festlegung von Grenzen und Abgrenzungen. Die von Trickster-p für «Finisterre» konzipierte Intervention spielt mit der Umkehrung dieser Logik und versucht, neue Dimensionen und Schlüssel zur Interpretation des Geländes aufzuzeigen. Ist es möglich, Karten zu erstellen, die von der Wahrnehmung dessen ausgehen, was nicht sichtbar ist? Also nicht von Vermessungen, Grenzen und Begrenzungen eines Gebietes? «Mapping the invisible» ist die Einladung, durch eine Landschaft zu reisen, in der das weniger Sichtbare hörbar wird und Raum für das Unerwartete bleibt.
Rund um das musikalische Programm lädt ein breites Angebot an Filmen, Museumsbesuchen und kleinen Ausflügen in die nähere Umgebung zum Entdecken des Bergs der Wahrheit ein. Das genaue Programm folgt.
30.7.23 und 31.7.23
Jeweils ab 12:00 Uhr, Klangwanderung im Valle Onsernone, Ende der letzten Aufführung um 21:00 Uhr in Loco
in Kooperation mit der Associazione Olocene – Forum culturale Valle Onsernone
Treffpunkt: Bahnhof von Intragna. Einlass von 12:00–14:00 Uhr
Sie werden mit Kleinbussen zum Startpunkt gebracht.
Es handelt sich um eine Wanderung mit teils steilen Aufstiegen. Sie dauert 5 Stunden. Die letzten 4–6 Stationen lassen sich auch vom Endpunkt Loco her besuchen. Bitte informieren Sie sich dazu vor Ort.
Die Kartierung von Territorien war oft ein Akt der Eroberung und Kolonisierung von Räumen und der Festlegung von Grenzen und Abgrenzungen. Die von Trickster-p für «Finisterre» konzipierte Intervention spielt mit der Umkehrung dieser Logik und versucht, neue Dimensionen und Schlüssel zur Interpretation des Geländes aufzuzeigen. Ist es möglich, Karten zu erstellen, die von der Wahrnehmung dessen ausgehen, was nicht sichtbar ist? Also nicht von Vermessungen, Grenzen und Begrenzungen eines Gebietes? «Mapping the invisible» ist die Einladung, durch eine Landschaft zu reisen, in der das weniger Sichtbare hörbar wird und Raum für das Unerwartete bleibt.
Mit Studierenden des Conservatorio della Svizzera Italiana
Drei junge Komponist:innen aus der 2022 erstmals durchgeführten International Young Composers Academy in Loco unter der Leitung von Oscar Bianchi, Du Yun und Samir Odeh-Tamini wurden eingeladen, Stücke im Kontext von «Finisterre» zu komponieren und im Rahmen des Festivals aufzuführen. Zwei von ihnen bespielen die Via delle Vose. Die Kompositionen erfordern vornehmlich Perkussionsinstrumente, gespielt von Perkussionist:innen aus Basel und Studierenden der Musikhochschule in Lugano.
Mit Studierenden der Accademia Teatro Dimitri.
Der Komponist der bekannten «Norwegian Opera» bringt hier seine ironisch-verspielte Perspektive auf die Musik(Geschichte) zusammen mit den realen (Lebens)Künstlerpersönlichkeiten des Monte Verità.
Über die ganze Via delle Vose verteilt begegnen den Besucher:innen Reinholdtsens «Einzelgänger», wie sie einst auf dem Monte Verità und seinen Aussenposten zahlreich unterwegs waren. Es sind Kunstfiguren als Trolle, in fantasievoller Maskerade, in die über mitgeführte Kopfhörer und Lautsprecher hineingehört werden kann. Jeder dieser Einzelgänger:innen tritt als die Wiedergänger:innen einer historischen Figur in Erscheinung; so begegnen uns der frühe Radikalökologe Gustav Gräser, der Anarchist Erich Mühsam, die Musikerin und Feministin Ida Hoffmann, der Tanzreformer Rudolf Laban, der Waldenzyklopäde Armand Schulthess aus Auressio und viele andere mehr – alle in Reinholdtsens ausdrucksstarker Verwandlung, verkörpert von Studierenden der Accademia Teatro Dimitri.
Weitere Informationen folgen.
Drohnen und vier Blechbläser:innen
Mit Studierenden des Conservatorio della Svizzera Italiana
Das Sirren und Brausen von mit Lautsprechern bestückten, umherschwirrenden Drohnen mischt sich mit dem Klang eines Blasquartetts und antwortet auf das Rauschen des Flusses tief unter der Brücke von Niva.
Isabel Mundry komponiert ein Stück für einen solistisch spielenden Interpret:in in der Kapelle des Oratorio Giovanni Nepumoceno von Niva. Hintergrund und Anregung ist die Uraufführung einer bis 1957 unbekannten Motette von Claudio Monteverdi. Bei den einst von Wolfgang Osthoff in Bologna gefundenen Handschriften handelte es sich um «12 composizioni vocali, profane e sacre con o senza basso continuo». In Niva aufgeführt wurde von Osthoff damals die Komposition «Exulta filia Sion a voce sola».
Mit: Musica Cittadina di Locarno, Leitung: Giorgio Coppi
Michel Godard: Leitung, Komposition, Tuba und Serpent; Matthieu Michel: Trompete; Nataša Mirković: Gesang
Alte Musik trifft auf Jazz und Tessiner Banda-Klänge. Gespielt werden Kompositionen und Arrangements von Michel Godard aus seinem Zyklus «Monteverdi – a trace of grace», einer Begegnung zwischen Musiker:innen und Musik aus ganz unterschiedlichen Zeitaltern, die sich ineinander verweben, miteinander entwickeln und daraus etwas Neues schaffen.
30.7.23
16.00–23.00 Uhr, Muralto und Brissago-Inseln
«La Via Lattea 19. La navigazione di San Brandano» (Die Seefahrt des Heiligen Brendan), Konzept und Produktion: Teatro del Tempo
Das Programm beginnt in der Kirche San Vittore in Muralto, einer der schönsten romanischen Kirchen des Tessins in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Locarno, mit einem Konzert-Theater, das einen überraschenden Dialog herstellt zwischen der Alten Musik (Machaut, Irische Lieder von Beethoven) und der Musik unserer Zeit (Nono, Ligeti, Lachenmann, Grisey, Sciarrino). Per Schiff geht es weiter auf den Spuren des Heiligen Brendan bei dessen Suche nach dem irdischen Paradies bis zu den Brissago-Inseln, wo drei neue «site specific» Kompositionen zur Aufführungen gelangen.
Für fünfzehn Spielende
Musik-Aktion, die auf dem Rondeau «Ma fin est mon commencement» von Guillaume de Machaut basiert. Die Musizierenden, welche auf verschiedene Orte der Isola Grande verteilt sind, schaffen eine Klanglandschaft, durch welche die Teilnehmenden auf der Suche nach dem irdischen Paradies wandern.
Für vier Männerstimmen und drei Schlagzeuger, Dauer ca. 6 Minuten
Mit: Ensemble We Spoke, Ensemble Thélème
Die Komposition beschreibt eine Überfahrt vom bekannten in ein unbekanntes Land. Brendan’s meerjährige Seereise ist uns durch eine typische keltische Erzählung, einem Immram, überliefert, einem Erzähltyp, der die Reise in eine sogenannte Anderswelt zum Thema hat. Mich interessieren besonders zwei Aspekte: zum einen das Unsichere, sowohl das Schwanken auf dem Wasser ohne festen Boden als auch die Unsicherheit darüber, wohin die Reise geht. Zum anderen ist es die Überfahrt zu einem neuen Land, zu einer neuen Realität. Das Schwanken als musikalisches Prinzip und die Ortsveränderung der vier Sänger in Richtung des abschliessenden Aufführungsortes stehen im Zentrum der Komposition.
Für Mezzosopran und drei Schlagzeuger:innen, Dauer 11 Minuten
Mit: Ensemble We Spoke und Truike van der Poel
Das Stück nimmt auf eine Hymne von Hildegard von Bingen Bezug, die anschliessend im Original erklingen wird. Zusammen mit der Sängerin Truike van der Poel, die auch Altphilologie und Gregorianik studierte, werden wir aus dem Faksimile des Riesencodex eine Hymne auswählen, die sich mit ihren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen beschäftigt. Als Resonanz auf ihr kreatives Werk entsteht eine ortsspezifische Komposition für Mezzosopran und drei Schlagzeuger nachts in den Ruinen der mittelalterlichen Kirche Sant’Apollinare auf der Isola Piccola aufgeführt wird.
Nähere Informationen und das genaue Programm finden Sie ab April auf
www.teatrodeltempo.ch

31.7.23
(Zeiten folgen), Muralto und Brissago-Inseln (ohne Konzert-Theater)
«La Via Lattea 19. La navigazione di San Brandano» (Die Seefahrt des Heiligen Brendan), Konzept und Produktion: Teatro del Tempo
Nähere Informationen und das genaue Programm finden Sie ab April auf
www.teatrodeltempo.ch
1.8.23
ab 16:00 Uhr, Finis bei den Bagni di Craveggia
Treffpunkt: Endstation Bus 324 in Spruga.
Ganz hinten im Onsernone-Tal liegt der Ort Spruga und dahinter scheint die Welt dann wirklich zu Ende zu sein. Hier laden der Fluss Isorno und das warme Quellwasser (28°) des ehemaligen Thermalbades der Bagni di Craveggia zu einem letzten Eintauchen ein. Das Wasser soll Heilwirkung bei rachitischen und Lymphdrüsenerkrankungen haben.
«Finisterre» markierte einst das Ende der bekannten Welt und war zugleich der Ausgangspunkt zur Entdeckung unbekannter Meere und Landschaften. «Finis» markiert das Ende unserer Reise. Wir sind in Italien angekommen, im hintersten, gänzlich verlassenen Ende des Onsernonetals; könnte es nicht ein Anfang sein?
Bei den Ruinen der Bagni di Craveggia versammeln wir uns zum Picknick am
1. August, jenseits der Grenze, im italienischen Niemandsland.
Bitte bringen Sie Ihre Verpflegung selber mit, im Laden von Spruga können lokale Spezialitäten eingekauft werden. Auf Grund eines möglichen Feuerverbots empfehlen wir Varianten ohne Grill.
Ein letztes Mal wird Trickster-p seine Vorstellung der akustischen Kartierung am Ende des Geländes bei den Bagni ausbreiten.
Der Drehleiervirtuose aus Österreich wird in den letzten verbliebenen Räumen zwischen den historischen Badewannen seine facettenreichen kaum identifizierbaren Töne aus der uralten obertonreichen Drehleier hervorholen. Klänge für einen abwesenden Raum aus einer fernen Zeit.
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